Wieder zu Hause steht der Koffer etwas deplatziert im Flur und wartet, entpackt zu werden. Die Mitbringsel sind bereits in der Küche verstaut: Salz, Kaffee und eine Flasche eines milden Gins von der Insel – mit Kräutern verfeinert natürlich. Ich bin ziemlich müde und denke mit meinem Partner über die vergangene Woche nach. Leider konnte er nicht mitkommen auf die kleine Insel – er hat selbst Hochsaison zuhause.

Ibiza ist und bleibt magisch. Vielleicht sogar mehr als zuvor, mehr als in den Sommern mit jenen Massen von Menschen, den Start-Lande-Slots im 5 Minuten- Takt, den grellen, ohrenbetäubenden Parties und dem schon sprichwörtlichen „I took a pill in Ibiza…“. Entspannter, freundlicher, zugewandter habe ich die Insulaner kaum erlebt. Zugleich aber auch nie betroffener und besorgter. Natürlich: Sie eint das Wissen darum, dass das Eiland mit seinen herrlichen Stränden, dem grün-roten Innenland und den Zentren im Norden (St. Antonio) und im Süden (Eivissa) immer Anziehungspunkt ist und bleiben wird. Sie wissen hier, dass Ibiza weiter Lebenskünstler*innen anziehen wird – auch wenn die Erinnerungen an die leichten, vermeintlich entspannten, Gras-wolkigen Zeiten nur noch ein gut zu vermarktendes Souvenir sind. Die Generation 2020 arbeitet hart, oft in zwei und mehr Jobs zugleich, um steigende Preise für Wohnen und Wasser zahlen zu können. Andere – ich habe sie kennengelernt – warten seit 5 Monaten darauf, wieder arbeiten gehen zu können.

Die Insel durchzieht ein Modernisierungswille, der sich mit einem Drang zu strengster Reglementierung paart. Zu viele Bausünden scheinen in den letzten Jahrzehnten – aus welchen Gründen auch immer – genehmigt worden zu sein. Die fast schnurgerade, tief in die heisse Erde gerammte Autobahn vom Flughafen zur Inselhauptstadt, mit ihren Tunneln und steilen Abfahrten ist ein Beispiel. Was hatten wir uns dereinst darüber aufgeregt… Heute baut man weiter an Straßen, an einem neuen Fünf-Sterne-Hotel mitten in Eivissas Altstadt und sorgt für modernste Wege, u.a. mit Ampeln für Handy-Nutzer (Leuchtstreifen im Boden). Die Aushänge der Immobilienanbieter sind bunt, die Angebote kostenintensiv wie eh und je. Der Haus-, Finca- und Apartmentmarkt weist offensichtlich noch keine Delle auf. Die Objekte in schönster Lage, modern gebaut oder renoviert liegen weiter in den üblichen Millionen-Bereichen. Es wird öffentlich investiert und privat renoviert – das ist immer ein gutes Zeichen.

Ob es die Vernunft ist oder das notwendige Übel – beim Corona-Schutz habe ich alles erlebt. Strenge Hygiene-Vorgaben und amtliches Handeln, aber auch Gleichgültigkeit und Überdruss. Es mag nicht schwer sein, Abstand zu halten, Maske zu tragen oder die Hände regelmäßig zu desinfizieren. Aber es scheint gegen die Natur des Menschen zu sein, ständig daran zu denken. Jene, die glauben, unerreichbar für das Virus zu sein, zeigen sich fast schon aggressiv „anti“. Junge Leute machen sich nichts aus Corona und feiern, wo immer sie beieinander sein können. Am Strand von Ses Salines sitzen sie und tanzen um ihre kleinen, quäkenden Bluetooth-Boxen, rufen mit heiseren Stimmen ebenso, wie in der Stadt am Hafen, in Gruppen, auf der Suche nach dem Abenteuer, von dem es hier viele geben soll. Beieinander sein, sich gemeinsam wohlfühlen, das ist es, was Urlaub ausmacht. Ich spüre es besonders, da ich allein reise. Meine Freude war, Menschen wieder getroffen zu haben, die ich schon vor Corona und den täglichen Nachrichten um Infektionszahlen kannte und lieben gelernt habe. Sie haben meine Bewunderung für ihren Optimismus, ihren Ideenreichtum.

„Wir werden die Straßen wieder füllen.“, hat jemand auf eine Wand gesprüht. Trotzig steht der Satz wie ein Versprechen. Ein bisschen aber auch wie eine Drohung. Die Chance, die Ibiza jetzt hat, geht nämlich über die Herstellung „alter“ Zustände hinaus. Jetzt könnte man die weitere Entwicklung der Insel, ihre Zukunft noch ökologischer, noch nachhaltiger, noch viel qualitätsorientierter denken und angehen. Es gäbe die Chance, aus weniger mehr zu machen. Wenn denn der Drang nach dem ganz großen Geld – und gerade die mächtigen Club-Betreiber wissen, was man pro Saison verdienen kann – dem Drang nach mehr Gemeinsamkeit unterliegen würde. Vielleicht sehe ich schon im kommenden Jahr, wohin das Pendel schwingt. Vielleicht braucht Ibiza aber auch noch Jahre, um 2020 überhaupt zu verkraften. Möglich ist es, sagt man mir. Denn die Krise ist nicht vorbei.
Ich danke meinen Gastgebern, meinen Freunden und den Menschen, die ich getroffen habe. Bewusst und unbewusst. Viele lächelten, als ich ihnen von meinem Blog-Projekt erzählte. Wollten reden, aber bitte nicht mit einem Foto dabei sein. Verstehe ich. Kein Problem. Und die ganz privaten Momente – auch die gab es (mit einem sehr lieben Freund und Künstler) – bleiben privat. Auf bald, Ibiza. Komm gut weiter. Und bleib gesund….